Nach einer monografischen Präsentation von Steichens Originalwerken aus unserer Sammlung in Polen, zeigt das Nationalmusée um Fëschmaart aktuellste Erwerbungen.

Der in Luxemburg geborene amerikanische Künstler Edward Steichen (1879-1973) zeichnet sich durch eine lange und vielseitige Karriere aus: Er war Maler, Designer und Pionier des Piktorialismus in der Fotografie, ein Künstler, der Abstraktionen und Fotomontagen schuf, ein Dokumentarfilmer, Herausgeber von Lifestyle-Magazinen, Ausstellungskurator und leidenschaftlicher Gartenbaukünstler; er war als Kriegs-, Luftfahrt-, Mode- und Werbefotograf tätig.

Edward Steichen bewegte sich in Kreisen einiger der renommiertesten Persönlichkeiten seiner Zeit und war Mitverfasser der Geschichte zeitgenössischer Fotografie und Museologie. Fünfzehn Jahre lang übte er das Amt des Direktors für Fotografie am Museum of Modern Art in New York (MoMA) aus. Eine seiner größten Errungenschaften war die 1955 weltweit gezeigte Ausstellung The Family of Man. Sie ist die einzige Ausstellung, die in das UNESCO-Programm Memory of the World aufgenommen wurde und heute als Dauerausstellung in Clervaux zu sehen ist.

Eine Premiere in Polen

In Zusammenarbeit mit dem MNAHA hat das neu eröffnete Nationalmuseum für Fotografie in Krakau (MuFo), dem einzigen seiner Art in Polen, diesem großen Künstler nun eine Ausstellung gewidmet. Die Ausstellung, die noch bis zum 28. Januar 2024 im MuFo gezeigt wird, ist die erste monografische Präsentation von Steichens Originalwerken in Polen überhaupt. Sie umfasst nicht weniger als 80 Vintage-Abzüge, die mit Hilfe meiner Kollegen vom MNAHA für den Transport vorbereitet und im MuFo installiert wurden.

Der Kurator der Ausstellung im MuFo, Dominik Kuryłek, hat in Absprache mit unserer Abteilung für Bildende Künste ein breites Themenspektrum für die Schau ausgewählt. Er bemerkte dazu: «Wir zeigen eine Auswahl von Fotos, die zwischen 1899 und 1959 entstanden sind, 80 Gelatinesilberabzüge, die von Steichen selbst angefertigt wurden. Angesichts seines Einflusses auf die Welt der Fotografie ist es erstaunlich, dass Polen zum ersten Mal eine komplett monografische Ausstellung mit Steichens eigenen Werken präsentiert. Das Museum für Fotografie ist bestrebt, seinem Publikum einige der wichtigsten Phänomene des Genres vorzustellen. Diese Ausstellung, in der die Werke eines der größten Fotokünstler aller Zeiten gezeigt werden, ist das perfekte Exempel dafür.»

Felsenbirne: Vom Morgenrot zur Abenddämmerung

Der in Luxemburg geborene Steichen war noch ein Kind, als seine Familie in die USA auswanderte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts führte ihn sein kreativer Schaffensdrang zurück nach Europa und Frankreich, wo er seine Malerei und fotografische Technik verfeinerte und in Kreisen bekannter Künstler, Bildhauer, Fotografen, Schriftsteller und Politiker verkehrte. Steichen fotografierte häufig auch Freunde und Bekannte. Die Ausstellung konzentriert sich auf Bilder aus dieser Zeit, die im Stil des vor dem Ersten Weltkrieg populären Piktorialismus entstanden sind. Edward Steichen war ein Meister und Befürworter dieses Stils und Mitglied der amerikanischen Photo-Secession, die sich um eine breite Anerkennung dieses Stils bemühte. Neben Porträts von J.P. Morgan, George Bernard Shaw und Theodore Roosevelt sind in diesem Teil der Ausstellung atemberaubende Landschaften zu sehen, darunter der gefeierte Mondaufgang – Mamaroneck von 1904, der als «Höhepunkt des Piktorialismus und einzigartiges Kunstwerk... eine der wertvollsten Fotografien der Welt» beschrieben wird.

Der Großteil der Ausstellung zeigt Porträts, die Steichen zwischen 1923 und 1937 für Vanity Fair und Vogue von Künstlern, Schauspielern, Wissenschaftlern, Autoren, Politikern und Wirtschaftsmagnaten aufgenommen hat, darunter Pola Negri, Charlie Chaplin, Greta Garbo, Winston Churchill und Thomas Mann. Während die Besucher diese Werke betrachten, erfahren sie mehr über die Anfänge der Fotografie und darüber, wie das Medium genutzt wurde, um die öffentliche Persona eines Menschen zu formen. Die dynamischen Porträts berühmter Persönlichkeiten dieser Zeit, inspiriert von Moderne, Kino und Art déco, revolutionierten die Mode-, Werbe- und kommerzielle Fotografie der Zwischenkriegszeit. Die Krönung der Ausstellung stellt die Farbfotografie einer Felsenbirne dar, die im Garten von Steichens Haus in den USA wuchs. Der Künstler widmete seine letzten Jahre der Dokumentation dieses Strauches zu verschiedenen Tageszeiten im Laufe des Jahres.

Über 50 brandneue Erwerbungen

Ich nahm an der Eröffnung der Ausstellung in Krakau teil und hielt dort im Rahmen des öffentlichen Programms einen Vortrag. Über 500 Besucher kamen zur Vernissage, und sowohl die Präsentation als auch der begleitende Sammlungskatalog des MNAHA (der als Publikation zur Ausstellung dient) wurden sehr gut aufgenommen. Der Erfolg Steichens in Polen unterstreicht die Anziehungskraft, die der luxemburgische Pionier der Fotografie auch heute noch auf Kunstliebhaber und Museumsbesucher ausübt.

In diesem Sinne können sich Interessierte auch auf das Programm in unserem Land freuen: In einer demnächst stattfindenden Ausstellung des Museums werden über 50 brandneue Erwerbungen der luxemburgischen Sammlungen gezeigt: Fotografien, die entweder Edward Steichen zeigen oder vom Künstler selbst stammen. Zu letzterer Kategorie gehört ein großes Ensemble von Werken, die kürzlich für die nationalen Sammlungen zusammengetragen wurden. Die Präsentation dieser Werke findet in der 5. Etage des Nationalmusée um Fëschmaart statt, die nach mehrjähriger Schließung ab dem 14. März 2024 wieder für das Publikum geöffnet sein wird.

Text: Ruud Priem / Bilder: MuFo