Zeitgeschichte | 08.04.2022 - 06.11.2022

Hat Luxemburg eine koloniale Vergangenheit? Viele Luxemburger und Luxemburgerinnen würden sicherlich mit einem klaren Nein antworten, denn der luxemburgische Staat war nie eine Kolonialmacht. Aber ist es wirklich so einfach? Das Nationalmuseum für Geschichte und Kunst (MNHA) geht der Frage nach.

Preis
  • Eintritt (Erwachsene) 7€

Obwohl das Großherzogtum Luxemburg nie politische Autorität über ein auswärtiges Territorium oder eine der dort ansässigen Bevölkerungsgruppen ausübte, verließen während des 19. und 20. Jahrhunderts zahlreiche Luxemburger Männer und Frauen das Großherzogtum, um in den Kolonien anderer europäischer Staaten zu leben und zu arbeiten. Dabei hatten sie alle denkbaren Funktionen inne. Sie waren als Soldaten, Wissenschaftler, Geschäftsleute, Missionare und Missionarinnen, sogar als Kolonialbeamte tätig. In Luxemburg wurde auch aktiv für den Kolonialdienst in Belgisch-Kongo geworben.

„Notre Congo“, Album mit einer Farbdruck-Sammlung von Chocolat Jacques, 1948

Foto: MNHA/Tom Lucas © Privatsammlung

Das Kolonialsystem basierte auf dem Prinzip der Ungleichheit zwischen den Kolonisten und den Kolonisierten. Der Glaube der Kolonialherren an die eigene Höherwertigkeit wurde durch pseudowissenschaftliche Rassentheorien gerechtfertigt. Sie dienten als Legitimation, außereuropäische Gebiete in Besitz zu nehmen und die einheimische Bevölkerung zu kontrollieren. Auch in der Luxemburger Gesellschaft war die Ideologie des Kolonialismus verankert und prägte Politik, Wirtschaft und Kultur von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre.

Die wertende Rassenideologie, die lange Zeit dominierte, entbehrt aus heutiger Sicht jeder wissenschaftlichen Grundlage. Die Haltung der Gesellschaft hat sich ebenfalls gewandelt. Die Black Lives Matter-Bewegung zeigt jedoch, dass rassistisches Denken überall auf der Welt, aber auch im Großherzogtum bis heute nachwirkt.

Ein luxemburgischer Kolonialverwalter in einem Boot, das von kongolesischen Paddlern gesteurt wird, 1930er Jahren
© Privatsammlung

Die neue Sonderausstellung des MNHA gibt vom 8. April bis 6. November 2022 einen Überblick über die wenig bekannte koloniale Vergangenheit Luxemburgs. Die Beteiligung luxemburgischer Soldaten und Söldner an der Eroberung der Kolonien und die wissenschaftliche Erforschung außereuropäischer Gebiete unter Mitwirkung luxemburgischer Gelehrter werden genauso thematisiert wie die wirtschaftlichen Interessen Luxemburger Firmen. Die wirtschaftliche Ausbeutung der Kolonie Belgisch-Kongo und die grausame Unterdrückung ihrer Bevölkerung unter der Herrschaft des belgischen Königs Leopold II. (1885-1908) sind als Kongogräuel in die Geschichte eingegangen. Hierbei, aber auch im Rahmen ihrer Tätigkeiten beim Bau von Infrastrukturen sowie im Gesundheits- und Schulwesen waren zahlreiche Luxemburger und Luxemburgerinnen Teil dieses Kolonialsystems. Mit der belgisch-luxemburgischen Wirtschaftsunion im Jahr 1922 wurden zudem luxemburgische Staatsangehörige hinsichtlich des kolonialen Staatsdienstes in Belgisch-Kongo den belgischen Staatsbürgern gleichgestellt. So kam es, dass, kurz bevor die heutige Demokratische Republik Kongo im Jahr 1960 ihre Unabhängigkeit erlangte, fast 600 Luxemburger und Luxemburgerinnen in dieser Kolonie lebten.

Zigarettenschachtel der luxemburgischen Firma „Le Tabac du Globe“ in Algerien für den französischen Kolonialmarkt hergestellt,
1950er Jahre

Foto: MNHA/Tom Lucas © Privatsammlung

Die Ausstellung macht der Öffentlichkeit Zeugnisse aus privaten und institutionellen Sammlungen in Form von Objekten, Kunstwerken und Fotos, Werbebroschüren und Presseartikeln zugänglich. Durch die Erinnerung an geschichtliche Fakten und die Präsentation zahlreicher Lebensläufe Luxemburger Akteure während der Kolonialzeit zeigt das MNHA die Komplexität der kolonialen Beziehungen auf. Darüber hinaus gibt das Museum neun Menschen von heute das Wort, deren Leben eng mit Luxemburg verbunden und durch die koloniale Vergangenheit geprägt sind. Denn auch wenn die Kolonialzeit im engeren Sinn seit mehr als sechzig Jahren abgeschlossen ist, erleben viele Mitbürger und Mitbürgerinnen noch immer deren Auswirkungen in ihrem Alltag. Die Sonderausstellung macht deutlich, dass auch Luxemburg eine koloniale Vergangenheit hat.

„Luxemburgs koloniale Vergangenheit“ – Sonderausstellung im MNHA, Marché-aux-Poissons, 2345 Luxemburg, vom 08.04. bis zum 06.11.2022. Eröffnung am 07. April 2022 um 18 Uhr.

Porträt von Nicolas Grang, dem ersten Luxemburger der 1883 im Kongo starb. Stich von J. Schubert, um 1884

© MNHA – Foto: Tom Lucas – MNHA Sammlung (Gabe der Gemeindeverwaltung Wahl)

Werbebroschüre für luxemburgische Unternehmen, die in den Belgisch-Kongo exportieren möchten, „Luxembourg au service du Congo, publiée par le Ministère des Affaires économiques et la Fédération des Industriels“, 1955

© MNHA - Foto Tom Lucas - MNHA Sammlung

Corneille LENTZ (1879-1937), Porträt einer Afrikanerin auf der Kolonialausstellung in Paris, 1931

© MNHA – Foto: Tom Lucas – MNHA Sammlung

Gedenktafel zu Ehren der im Dienst von Belgisch-Kongo gefallenen Luxemburger, 1956 am Rathaus von Luxemburg angebracht

© Les 2 Musées de la Ville de Luxembourg

Spardose der Missionare, die in Kirchen Geld für katholische Missionen sammelten (in Form eines afrikanischen Kindes, das mit dem Kopf nickt, wenn eine Münze hineingeworfen wird)

Foto: MNHA/Tom Lucas © MNHA Sammlung

Kasongo, Die Peitsche für Gefangene, 1980

Ein Sergeant der Kolonialarmee, der einen Gefangenen auspeitscht, während europäische Offiziere zusehen

© Collection MRAC Tervuren, Tous droits réservés


Plakat für die Kolonialausstellung, die 1949 vom Cercle colonial du Luxembourg im Stadt-Palais, organisiert wurde

© Bibliothèque nationale du Luxembourg

Figur, die einen Kolonialbeamten karikiert, Ruanda, vor 1960

Foto: MNHA/Tom Lucas © Privatsammlung

Plakat für die Ausstellung über koloniale und exotische Kunst, die 1933 vom Cercle colonial du Luxembourg im Stadt-Palais organisiert wurde

© Les 2 Musées de la Ville de Luxembourg

Hut aus der Kolonialzeit
(Objekt nur zu Anschauungszwecken – nicht ausgestellt)

Foto: MNHA / Tom Lucas - © Privatsammlung

Ausstellungsplakat